Sorj Chalandon – Am Tag davor

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(Thriller-)Drama

Mit dem Roman „Am Tag davor“ von Sorj Chalandon werden die Leser in das Kohlabbaugebiet von Nord-Frankreich entführt. Sehr detailliert erfahren die Leser die Zusammenhänge und Hintergründe über den Bergbau, dessen Möglichkeiten, Arbeitsbedingungen und Risiken. Dies ist so interessant geschildert, dass auch ohne jedes Vorkommnis, bereits eine gewisse Spannung an das Buch fesselt. Schließlich geschieht doch ein Unglück und von da an liest man atemlos weiter. Eine unerwartete Wendung des Romans legt verschiedene psychologische Mechanismen frei. Es geht um Verdrängung, Schuld und Rache. Es gibt verschiedene Wahrheiten, ein jede hat die Ereignisse anders in Erinnerung. Ein empfehlenswertes Buch, spannend aber dennoch sehr ausführlich beschrieben. Viele Jahrzehnte später wird die Wahrheit endlich ans Licht kommen, durch eine Gerichtsverhandlung.

Inhalt

Der Tag vor der Katastrophe: Der 16-jährige Michel fährt mit seinem geliebten großen Bruder Joseph auf dem Moped durch die Straßen seiner französischen Heimatstadt. Gemeinsam fühlen sie sich unbesiegbar. Am Tag darauf kommen bei einem Grubenunglück 42 Bergmänner aufgrund eines fatalen Fehlers der Werksleitung ums Leben – Joseph stirbt infolge seiner Verletzungen. Michel flüchtet sich nach Paris, auch um die Worte des Vaters zu vergessen: „Du musst uns rächen!“ Sein Schmerz aber vergeht nicht, und so beginnt Michel Jahre später einen Rachefeldzug. Noch weiß er nicht, dass die Nacht vor dem Unglück anders war, als er es in Erinnerung hat. Ein erschütternder Roman über Schuld, Verdrängung und zwei Brüder, die einander bewunderten. Michel wird mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, die sich anders darstellt, als er es sich vormacht, als er es in Erinnerung hat. Was ist damals wirklich passiert, wer ist schuld am Unglück?

Kritik

Eine Wunde, die nicht verheilen möchte. Ein Roman, der tiefe Trauer und Wut offenbart, die jedoch bei näherer Betrachtung anders wirkt als sie nach außen getragen wird. Ein starker Roman, der sich sehr gut lesen lässt und Geschmack auf mehr macht, auf die weiteren Romane des Autors.

Sorj Chalandon, geboren 1952 in Tunis, war viele Jahre lang Journalist bei der Zeitung ›Libération‹ und ist seit 2009 Journalist bei der Wochenzeitung ›Le Canard enchaîné‹. Seine Reportagen über Nordirland und den Prozess gegen Klaus Barbie wurden mit dem Albert-Londres-Preis ausgezeichnet. Auch sein schriftstellerisches Schaffen wurde mit nahezu allen großen französischen Literaturpreisen gewürdigt. Er veröffentlichte zunächst die Romane ›Le petit Bonzi‹ (2005), ›Une promesse‹ (2006, ausgezeichnet mit dem Prix Médicis) und ›Mon traître‹ (2008). ›La légende de nos pères‹ (2009) erschien 2012 als erstes Buch in deutscher Übersetzung u.d.T. ›Die Legende unserer Väter‹. Der folgende Roman ›Retour à Killybegs‹ (2011; dt. ›Rückkehr nach Killybegs‹, 2013) wurde mit dem Grand Prix du roman de l’Académie française 2011 ausgezeichnet und war für den Prix Goncourt 2011 nominiert. Sein semiautobiografischer Roman ›Profession du père‹ (2015; dt. ›Mein fremder Vater‹) wurde mit dem Prix du Style ausgezeichnet. „Am Tag davor“ heißt im Original „Le Jour d‘avant“, wurde von Brigitte Große übersetzt, hat 318 Seiten und ist am 18. April im dtv erschienen.

Bewertung: 8,1/10 Punkten

Spannung: 3/4 – Action: 2/4 – Humor: 1/4 – Erotik: 1/4 – Anspruch: 3/4