Camille Laurens – Es ist ein Mädchen

Gesellschaftsdrama

Vorsicht Literatur. „Es ist ein Mädchen“ von Camille Laurens ist ein sprachlich begeisterndes Werk. Inhaltlich regt es zum Nachdenken an, wie die Rolle der Frauen in den vergangenen 50 Jahren war, wie sie sich verändert hat. Ein lapidarer Satz, der doch so viel Bedeutung hat, für Neugeborene, für Mädchen im Allgemeinen. Wie ist es, als Mädchen aufzuwachsen, wie ist es für die Eltern. Ab wann wird eine Person sexualisiert, und das passiert im Roman relativ schnell. Der Roman erzählt uns von Laurence, die aufwächst und bald schon unschöne Erfahrungen machen muss. Ein behütetes Leben, aber kein störungsfreies. Ob als Kind, Erwachsene oder als Mutter muss sie Hürden überspringen, muss sie funktionieren, muss sie hoffen, dass sie mit ihrer Lebensweise durchkommt. Was bedeutet es, ein Mädchen zu sein: individuell, gesellschaftlich und im philosophischen Sinne?

Inhalt

»Haben Sie Kinder?«, wird der Vater gefragt. »Nein, ich habe zwei Mädchen«, antwortet er. – Diese Szene ist eine der ersten Erinnerungen einer Frau, die um 1960 in gutbürgerlichen Verhältnissen in Rouen aufwächst. Was folgt, ist ein Leben, wie es exemplarisch scheint für ihre Generation: Laurence befreit sich aus der Enge des Elternhauses, erlebt sexuelle Freiheit, aber auch Gewalt schon in ihrer Kindheit bzw. Jugend, sie verliert einen Sohn bei der Geburt und bringt eine Tochter zur Welt. Und mit dieser Tochter, die sich allen Rollenzuschreibungen entzieht, öffnet sich etwas – auch für Laurence und ihr Leben als Frau. Aus dem Besonderen eines Frauenschicksals leitet dieser klug konstruierte Roman ab, was im Allgemeinen folgt, nachdem es heißt: »Es ist ein Mädchen.« Was bedeutet es, eine Frau zu sein, wie kann Laurence leben, ob als Kind, Jugendliche oder später als Erwachsene und dann als Mutter? Es ist ein Ritt durch die Zeit, eine Offenbarung, wie das Geschlechterverhältnis sich ändert, wie sich vieles ändert, doch letztlich vielleicht auch nichts nachhaltig? Ein Leseerlebnis, das zum Nachdenken animiert.

Kritik

Ein sehr lesenswerter Roman, der vieles sehr präzise und stark analysiert und erkennt. Allerdings wird sehr viel Wert auf Sexualität gelegt, Missbrauch und Liebe, Lust und schlicht Sex. Das wirkt zuweilen verstörend, müssen Frauen ihren Platz in der Gesellschaft noch immer suchen und finden? Müssen Männer endlich akzeptieren, dass Frauen keine Ware sind, sondern gleichgestellt Persönlichkeiten in allen Lebenslagen?!

Camille Laurens, 1957 in Dijon geboren, wurde für ihre autofiktionalen Romane vielfach ausgezeichnet. Sie schreibt Theaterstücke, Essays und eine wöchentliche Literaturkolumne für ›Le Monde‹. Seit 2020 ist sie als Nachfolgerin von Virginie Despentes Mitglied der Académie Goncourt. „Es ist ein Mädchen“ heißt im Original „Fille“, wurde von Lus Künzli aus dem Französischem übersetzt, hat 254 Seiten und ist am 18. Mai im dtv erschienen.

Bewertung: 8/10 Punkten

Spannung: 2/4 – Action: 2/4 – Humor: 2/4 – Erotik: 2/4 – Anspruch: 3/4